Tausende Begegnungen

Der Domplatz in Münster – vor dem dunklen Kopfsteinpflaster strahlt der Dom aus hellem Sandstein geradezu. Dreimal in der Woche verwandelt sich diese riesige freie Steinkulisse in Brot, Gewürze, Käse, Obst usw. und lockt damit tausende Münsteraner*innen auf den Wochenmarkt. Ein Platz, der zu Begegnungen einlädt – auch euch heute. Und regelmäßig treffen sich hier Studierende vor dem Fürstenberghaus geradeaus, Cafébesucher tummeln sich aus aller Welt um den gesamten Platz. Begegnungen über Entfernungen ermöglicht die Post links, Begegnungen mit Gott die Messe im Dom.

Selbst wenn in Münster eine Demo stattfindet, kommt man nicht um diesen Platz herum: Kundgebungen finden vor der Kulisse des Doms statt. Und der spendet eine besondere Atmosphäre – ganz von alleine. Oder?

Der freie Raum bietet viel Fläche für Begegnungen – für Aktuelles und Spontanes, für Geschehenes, für Künftiges, auf das wir warten oder hoffen.

Kirchen schaffen schon durch ihre Architektur einen Raum, eine freie leere Stelle, die wir räumlich und gedanklich füllen. Viele Menschen spüren die Erhabenheit einer Kirche sofort, wenn sie sie betreten. Meist können wir nicht einmal genau fassen, warum das so ist. Die Gemeinschaft vieler Menschen, die hier dasselbe Gefühl teilen, ist geheimnisvoll.

Dass dies nicht nur in katholischen Städten und Gemeinden so ist, war besonders nach der Brandkatastrophe in Nôtre Dame spürbar: Selbst in Frankreich, wo Staat und Religion viel stärker getrennt sind als bei uns, waren Menschen mit und ohne Glauben erschüttert. Denn ihnen bot das Wahrzeichen der Stadt immer schon Identität und ein Dach über dem Kopf – z.B. in Zeiten des Terrors und Gedenkens. Hier finden Begegnungen und Solidarisierung statt.

Die leere Stelle und das Rätsel

Große, luftige Räume, hohe Decken sind wie leere Stellen. Und die sind für uns oft besonders spannend – wie in diesem Bild von Michelangelo “Die Erschaffung Adams”. Hier begegnen sich nur fast zwei Hände. Die Leerstelle wirft Fragen auf, wir stolpern über sie, halten inne. Gleichzeitig sehen wir in ihr eine kommende Bewegung. Kunst, Religion und Literatur spielen gerne damit.

Der Dichter Gottfried Benn sagt in seinem melancholischen Gedicht: “Es gibt nur zwei Dinge: Die Leere und das gezeichnete Ich.” Eines wird darin deutlich: Die Leere – ob zeitlich oder räumlich – gibt uns überhaupt erst den Raum um zu fragen, zu rätseln durch was wir gezeichnet und lebenserfahren sind.

Eine ganz andere Form von Begegnung ist diese: Hinter euch, Richtung Rathaus und Prinzipalmarkt, seht ihr an der Wand des Gebäudes eine kleine Tafel mit einem Datum: 2. April 2020, 16 Uhr. Eine Zeit, auf die alle paar Jahre viele hunderte Menschen warten, was geschieht und die dann dabei zusehen, wie das Schild durch ein neues ausgetauscht wird (mehr unter WN.de).

Auch hier spielt eine leere Stelle – die Zeit – eine bedeutende Rolle. Wir warten, wir erwarten, wir rätseln.

Genau das ist es, was den Begegnungen mit Menschen, mit Räumen ein gewisses Knistern, einen Zauber verleiht.

Fragen zum Austausch

  • Welches (Glaubens-)Gebäude hatte auf dich einen beeindruckenden Moment?
  • Welchem Ich begegnest du, wenn du in einer Kirche stehst?
  • Welche Begegnungen mit anderen Menschen sind dir besonders im Gedächtnis geblieben?
  • Wem würdest du gerne mal wieder begegnen?

Nutzt diese Fragen zum Austausch auf dem Weg zur nächsten Station.

Die nächste Station

Die nächste Station findet ihr unter den Koordinaten

51.963271, 7.628709